Lichtorgel
Kunst an der Schwelle
Der Mensch steht heute an der Schwelle. Für jeden Menschen ist diese Erfahrung greifbar, wenn er von diesen Tatsachen weiß.
Die Schwelle wird bei einer Lichtorgelaufführung durch einen durchsichtigen Stoff symbolisiert.
Heute dreht sich alles um die Frage, ob und wie wir mit der Schwelle umgehen. Das Nicht hinüber Kommen als Nicht-Gelingen ist eine tägliche schmerzvolle Erfahrung. Auf der anderen Seite, also hinter dem Stoff, steht ein Mensch im Gewand. Er symbolisiert das Über-die –Schwelle-Gekommen-Sein. Dort angelangt, kann er aus dem Reich der Farben und Töne schöpfen.
Die Bewegungen werden nun gespeist aus der Musik, aus den musikalischen Kräften, die dem Menschen zufließen.
Das Farbenlicht ist als Raumlicht die eine Lichtquelle, das Tonlicht, das in Verbindung mit den Tönen steht, die gerade entstehen, die andere.
Während also Klavierspieler(in) und Eurythmist(in) agieren, kommt der Person die das Lichtgeschehen fortwährend steuert, ebenfalls eine künstlerische Aufgabe zu: Aus dem Wesen der Musik, der jeweiligen Komposition bzw. Improvisation schafft der Mensch am Schaltpult die Lichtsphäre. Dabei entscheidet er auch über den Finsternisanteil. Durch das Einbeziehen der Luft in der Bewegung kommen wesenhafte Züge in das Schwellenereignis. Auch dieses steuert der Mensch am Schaltpult. In bestimmten Momenten werden durch den Lichtgestalter die den Tönen entsprechenden Formen in Echtzeit auf den Stoff projiziert. So entsteht durch drei Künstler ein Gesamtkunstwerk im Umgang mit der Schwelle.
Unüberwindlich
Steht sie da
Doch es wächst
In mir die Kraft
Die Schwelle zu
Überwinden.
Durch die Kunst
Das Licht
Den Ton
In mir
Trete ich hinüber.
Nahrungsspendend
Gehe ich nun
Durch das Leben
Das in mir ist
Durch Klang
Ton
Farbe
Licht
Atmani, 27.2.2019
Seit jeher haben Musiker und Künstler das Verhältnis von Ton und Farbe interessiert. So spricht man von Klangfarbe in der Musik und Farbenklang in der Malerei.
Verschiedenste Künstler suchten konkret das Verhältnis von Malerei und Komposition. So komponierte als erster Modest Mussorgsky sein Werk „Bilder einer Ausstellung“ nach Bildern von Viktor Hartmann. In der Zeit der entstehenden Farbenlehre von Goethe, Runge, Johannes Itten, von Kandinsky und Jawlensky beschäftigten sich viele Künstler in verschiedener Weise mit dem Verhältnis von Ton, Klang und Farbe.
1911 beginnt Alexander Skrjabin einen neuen Schritt, indem er über seine Partitur Prometheè zwei Stimmen für Licht schrieb. Seit seinem Kennenlernen der Partitur von Prometheè 1992/93 in Moskau sucht der Autor Atmani, wie sich in einem Instrument Ton, Klang und Farbe verbinden lassen.
Die Umsetzung der Vision von Atmani wurde möglich durch die Zusammenarbeit mit dem Ingenieur und Informatiker Dr. Ralf Tita. Der erste Schritt der Umsetzung war die Entwicklung der Tonkreisbilder, die mathematische Projektionen von Tönen sind. So lässt sich ein Ton als Kreis abbilden, ein zweiter ebenso, aber beide zusammen (Intervall) ergeben eine spezifische Bildstruktur (Im Original wurden die Tonkreisbilder im Verhältnis zu den Bewegungen der astronomischen Planetenbewegungen betrachtet).
Die Zuordnung der Farben zu den Tönen haben sowohl Alexander Skrjabin als auch Dr. Rudolf Steiner vollzogen. Durch die Weiterentwicklung der Technik ist es heute möglich, unter eine Klaviatur eine Laserschranke zu legen, die die Bewegung der Taste misst, und unmittelbar an den Computer weitergibt. Dieser berechnet sowohl die Tonkreisbilder, als auch die Farben, die in Echtzeit an die Projektionsfläche/Wand und in den Raum geflutet werden. Dabei entspricht immer einem Klangspektrum der Musik eine Grundfarbe, die der/die Pianist/in getrennt von den Tasten-Farben-Klängen als Grundfarbe für eine gewisse Phase der Komposition festlegt. Diese Denkweise ist eine Weiterentwicklung der russischen Musiklehre und –komposition, die das Klangspektrum als Ausgangspunkt der modernen Musik anschaut. Ist die Musik bis Debussy und Wagner gerade noch tonal, so geht sie doch graduell mit beiden in das Klangspektrum über, das die tonale Ordnung ersetzt.
So liegt bei Skrjabins Prometheè der Prometheè-Akkord zu Grunde. In der Folge wird das Klangspektrum Ausgangspunkt der Komposition. Die Farben der Grundphase zeigen an und intensivieren so den Grundduktus des Klangspektrums, während die Farbtonkorrelation der einzelnen Töne die innere Bewegung abbildet. Die Gestalt der Tonkreisbilder kann ebenso in Farben differenziert werden, so dass die Spannung, die zwischen den Elementen der Komposition vorliegen gut erscheinen kann.
Der/Die Pianist/in bedient dabei die Funktion am Flügel durch ein Mischpult, das er/sie ähnlich einer Kirchenorgel registriert. So entsteht schrittweise die Lichtorgel, die übrigens auch durch die Entwicklung der Beleuchtung möglich wird, da heutige Lampen die Farben wechseln können.
Klang und Ton, Farbe und Form waren bis heute immer getrennt. In der Lichtorgel werden sie ein neues, großes Instrument, das die Sinne des Menschen, des Zuhörers, aber auch des Pianisten, umfassend anspricht.
Möglich wurde ihre Ausgestaltung durch die inzwischen jahrelange gemeinsame Arbeit von Dr. Ralf Tita mit Atmani. Er übernahm die Intuition und Vision und konnte die Realisation in der technischen Umsetzung selbständig vollziehen, in die Atmani immer wieder begleitend eingegriffen hat.
Die Visualisierung von Tönen ist einer der Hauptaspekte der Kymatik. Die Lichtorgel ist insofern eine vollkommene Form der neuen Kunst aus der Kymatik, in dem der Mensch in Ton, Klang und Farbe lebendig eingetaucht wird und zugleich das Gleichgewicht von Kunst und Wissenschaft gehalten werden kann (Farben und Tonkreisbilder).
Die Welturaufführung der Lichtorgel spielt die russische Komponistin und Pianistin Nina Aristova am 26. April 2017 im MOCA – Museum of Contemporary Art in Peking/China . Dabei wird zugleich ein Werk von ihr uraufgeführt: Sieben Lamenti über das Lied: „Es ist Nacht“ aus dem „Manengesang“ von Atmani.
Die Lichtorgel ist der Höhepunkt der Teil-Ausstellung „Durchbruch zum Licht“ der Werkstatt Atmani innerhalb der Gesamtausstellung „Partnerships“ der Gallerie Pashminart zusammen mit dem MOCA Beijing vom 26.April bis 10.Juni 2017.